Rechtsextremes Denken ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Vorbei sind die Zeiten, in denen man beim Wort 'Nazi' an Skinheads mit Baseballschlägern dachte. Die heutigen Rechtsradikalen tragen Hipster-Frisuren oder geben sich als besorgte Familienväter, sie tummeln sich an Universitäten, in Schulen, Verlagen, Gerichten und Parlamenten. Und – das ist seit der Correctiv Recherche endlich ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt – sie haben einen Plan, den sie mit großer Beharrlichkeit und strategischer Klugheit vorantreiben. Einen Plan, wie sie den Diskurs in Deutschland Stück für Stück verschieben wollen, um in mittelfristiger Zukunft nationalistisches und völkisches Denken wieder salonfähig zu machen.
Dass diese Pläne endlich als ernsthafte Bedrohung für unsere freiheitliche Demokratie wahrgenommen werden, ist mehr als begrüßenswert, ebenso dass Hundertausende dagegen auf die Straße gehen. Doch Demonstrationen allein werden nicht ausreichen. Wenn wir auch in Zukunft in einer freien und einigermaßen toleranten Gesellschaft leben wollen, müssen wir uns dem schleichenden Rechtsruck auf allen Ebenen entgegenstellen. Nur wie? Seit dem Einzug der AfD in die ersten Parlamente suchen Politiker und Journalisten nach dem richtigen Umgang mit ihr. Aber der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Partei in Umfragen und Wahlergebnissen deutet darauf hin, dass die bisherigen Strategien nicht allzu erfolgreich waren.
Ich möchte in diesem Artikel als erstes drei verbreitete Strategien unter die Lupe nehmen und erklären, warum ich sie für wenig wirksam halte. Im zweiten Teil wird es um die Taktik der Gegenseite gehen und warum sie so erfolgreich ist. Und schließlich will ich einen Vorschlag unterbreiten, wie eine wirklich wirkungsvolle Strategie gegen Rechts aussehen könnte.
Eine Bemerkung vorweg: Begriffe wie rechtsextrem und rechtspopulistisch sind schwammig und teilweise ist der Übergang zu demokratisch legitimen rechtskonservativen Positionen fließend. Mir geht es im Folgenden um Gruppierungen, die explizit oder implizit rassistische, völkisch nationalistische und demokratiefeindliche Positionen vertreten. Zu diesen gehören relevante Teile der AfD, die identitäre Bewegung, verschiedene Reichsbürger Gruppierungen, die rechten Vordenker aus dem Umfeld des Antaios Verlags und viele andere neurechte Zusammenschlüsse. Wenn ich im folgenden von Rechtsextremen oder der Neuen Rechten spreche, sind diese Gruppierungen gemeint.

Ignorieren, stellen, befrieden – drei gescheiterte Strategien
Im Umgang mit der Neuen Rechten stößt man schnell auf das (zum ersten mal von Karl Popper formulierte) Toleranz-Paradoxon: Es gehört zum Wesenskern einer demokratischen Kultur, auch die Meinungen der Anderen auszuhalten. Aber was wenn die Gegenseite eine zutiefst intolerante Position vertritt oder gar aktiv auf die Abschaffung einer toleranten, demokratischen Gesellschaft hinarbeitet. In diesem Fall muss die Demokratie wehrhaft sein. Aber was genau bedeutet das? Welche Mittel sind geeignet, um der Intoleranz Einhalt zu gebieten? Im Bezug auf die AfD, aber auch auf andere neurechte Grupen, werden aktuell drei Strategien besonders häufig vorgeschlagen:
'Wir sollten die AfD einfach ignorieren'
Die Idee hinter diesem Gedanken ist nachvollziehbar: Wenn man Rechtsextreme konsequent aus dem Diskurs ausschließt, können Sie diesen auch nicht nach rechts verschieben. Das Problem: Die immer radikaleren Provokationen unbeantwortet stehen zu lassen, ist kaum durchzuhalten. Manche Dinge können nicht unwidersprochen stehen bleiben, ohne dass die Demokratie ebenfalls Schaden nimmt. Auch wenn es wahr ist, dass die neue Rechte öffentliche Empörung gezielt nutzt, um ihre Themen in den Diskurs zu drücken, käme ein Ausbleiben eben jener Empörung einer Kapitulation gleich. Man würde Ihnen kampflos das Feld überlassen. Abgesehen davon haben die Rechten längst Alternativmedien etabliert, in denen Weltuntergangsszenarien, alternative Fakten und Hasstiraden zirkulieren. Und sie nutzen die sozialen Medien extrem erfolgreich, um diese Botschaften großflächig zu verbreiten. Sie sind also auf die Aufmerksamkeit der etablierten Medien längst nicht mehr angewiesen, um sich Gehör zu verschaffen.
'Wir müssen die AfD politisch stellen'
Diesen Satz hört man aktuell vor allem von Gegnern eines AfD Verbots immer wieder. Man müsse die AfD inhaltlich entlarven, aufzeigen, dass sie keine Antworten auf reale Probleme zu bieten hat, sondern immer nur dagegen sein kann. Tatsächlich kommen AfD Politiker immer wieder ins Schlingern wenn sie mit realpolitischen Fragen, etwa nach Renten, Fachkräftemangel oder Bildungspolitik konfrontiert werden. Allein: Ihre Anhänger scheint das kein bisschen zu stören. Sie erwarten von ihrer Partei gar keine Lösungen, ihnen reicht das Kanalisieren der Wut auf die (vermeintlichen) Eliten. Dazu kommt, dass die neuen Rechten unheimlich erfolgreich darin sind, ihre Anhänger gegen Fakten zu immunisieren. Am deutlichsten kann man das an Trump beobachten. Kein noch so abscheulicher Skandal, kein noch so offensichtliches Aufdecken seiner politischen Inkompetenz könnte ihm jemals schaden, weil er es geschafft hat, eine Community zu erzeugen, die ihm mit beinahe religiöser Hingabe folgt und die mit rationalen Argumenten kaum noch zu erreichen ist.
'Die Politik muss einfach die Probleme lösen, dann haben Rechtspopulisten keine Chance'.
Auch diese These ist ein Dauerbrenner in allen Talkshows. Und es klingt ja logisch: Die Rechtspopulisten zehren von der Unzufriedenheit der Leute. Wenn also keiner unzufrieden ist, wählt auch niemand mehr die AfD. So weit die Theorie. Doch in der Praxis zeigt sich ein anderes Bild: Die Gaskrise nach Ausbruch des Russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurde mit großem Aufwand abgewendet – niemand musste wie befürchtet im Winter frieren. Aber hat das Wähler von der AfD zurückgewinnen können? Im Gegenteil. Klar, man könnte argumentieren, dass die Performance der Ampel immer noch genug Spielraum für Unzufriedenheit bietet. Und mit Sicherheit würde eine konsistentere und besser erklärte Politik auch beim Kampf gegen Rechts nicht schaden. Aber ich wage die These, dass selbst die erfolgreichste und souveränste Regierungspolitik nicht ausreichen würde, der AfD das Wasser abzugraben. Denn jede noch so abgewogene politische Entscheidung hinterlässt am Ende einen Teil der Gesellschaft unzufrieden. Unzufriedenheit gehört sozusagen zur DNA der Demokratie. Wenn Mehrheiten entscheiden bedeutet das immer, dass auch ein Teil der Bevölkerung nicht das bekommt, was er sich wünscht. Und es ist das Handwerk der Populisten, diese Unzufriedenheit aufzuspüren und zu nähren, Probleme zu überhöhen und jede Kleinigkeit zum nationalen Notfall hochzujazzen. Der Versuch, Populisten keine Angriffsfläche zu bieten ist immer zum Scheitern verurteilt und kann die Politik sogar lähmen und wichtige Entscheidungen verhindern. Besonders drastisch zeigt sich dies, wenn Parteien versuchen, Themen der AfD aufzunehmen, um Unzufriedene zu besänftigen. In zahlreichen Wahlen (und Studien) hat sich inzwischen gezeigt, dass das nicht hilft Wähler zurückzugewinnen, aber auf dramatische Weise dazu beiträgt, den gesellschaftlichen Diskurs im Sinne der Rechten zu verschieben.
Alle drei genannten Strategien folgen einem nachvollziehbaren Gedanken und können im Einzelfall sicher auch gewisse Erfolge erzielen. Aber im Großen und Ganzen haben sie bisher nicht dazu geführt, den Aufstieg der AfD und der Neuen Rechten zu bremsen – im Gegenteil. Es scheint, als hätten sie auf all diese Manöver längst die richtige Antwort parat.
Schauen wir uns also die Strategie der Neuen Rechten an. Warum ist sie so erfolgreich darin, ihre Basis zu vergrößern und zu konsolidieren? Und warum scheint Sie immun gegen jeden Gegenangriff? Wie lautet der Plan, mit dem die Neue Rechte unsere Gesellschaft auf rechts drehen will?
Ein Masterplan für die Niederwerfung der Demokratie
Ich werde im folgenden einige ausgewählte Vorgehensweisen kurz vorstellen, die sich immer wieder beobachten lassen. Die ersten drei zielen vor allem darauf ab, den Diskurs zu verändern, Deutungshoheit zu gewinnen und neue Anhänger zu rekrutieren. Die restlichen Strategien verfolgen vor allem das Ziel, die auf diese Weise gewonnenen Anhänger möglichst effektiv von der Mehrheitsgesellschaft abzutrennen und ihnen einen Weg zurück so schwer wie möglich zu machen. Wichtig ist zu betonen, dass es sich hier um ein sorgfältig geplantes und koordiniertes Vorgehen handelt. Das Playbook dafür stammt von rechten Vordenkern wie Alain de Benoist, Götz Kubitschek oder Martin Sellner.
Agenda Setting
Mittels gezielter Provokationen werden Themen in den öffentlichen Diskurs gedrückt, die dem Narrativ der Rechten nützlich sind. Meist geht es um Migration. Dann wird wochenlang über nichts anderes debattiert und das Thema erscheint größer als es in Wirklichkeit ist. Die dadurch entstandene Verunsicherung und Wut wird von rechten Gruppen genutzt, um Anhänger zu gewinnen. Das Spiel mit der Provokation ist bei den Rechten so beliebt, weil sie darin einen enormen strategischen Vorteil haben: Sie fordern uns zu einem Kampf heraus, dessen Ausgang ihnen fast egal sein kann, weil sie bereits durch dessen bloßes Zustande Kommen gewinnen. Und wenn wir den Kampf nicht annehmen – umso besser: Dann haben Sie ihr Ziel ebenfalls erreicht, weil ihre Thesen ohne Gegenwehr den Weg in den öffentlichen Diskurs gefunden haben.
Der Kampf um die Worte
Dass unsere Sprache ein mächtiges Werkzeug ist, um unser Denken zu beeinflussen, ist kein Geheimnis. Auch rechte Intellektuelle wie Alain de Benoist haben dieses Potential schon lange erkannt. Die Strategie besteht einerseits darin, rechtsradikale Begriffe in den Diskurs einzuführen, bzw. wieder salonfähig zu machen. Gesellschaftlich geächtete Worte werden durch bedeutungsgleiche Neuschöpfungen ersetzt und dadurch wieder sagbar. Ein Beispiel ist 'Ethnopluralismus' – im Grunde einfach nur ein hübsches Wort für die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis. Oder eben 'Remigration' als Ersatz für Vertreibung, bzw. Deportation.
Ein weiteres Feld im Kampf um die Worte ist die Umdeutung etablierter Begriffe. Ein besonders interessantes Beispiel ist das Wort 'rechtsradikal' selbst. In letzter Zeit lässt sich immer wieder beobachten, dass Mitglieder der Neuen Rechten behaupten, heutzutage werde der Begriff inflationär verwendet und man wisse ja gar nicht mehr genau, was er eigentlich zu bedeuten habe. 'Rechtsradikal' soll zu einer Art Kampfbegriff der Linken umgedeutet, geschwächt und sinnentleert werden. Wer so bezeichnet wird soll sich nicht mehr dafür schämen müssen. Ein weiteres Paradebeispiel ist das Wort 'normal', das die AfD bei der Bundestagswahl 2021 auf ihre Plakate drucken lies. Wer die Deutungshoheit darüber hat, was normal ist, bestimmt auch was eben nicht normal, also 'abnormal' ist.
Spaltung:
Eine zentrale Vorgehensweise besteht darin, gesellschaftliche Konfliktlinien zu erkennen, diese durch Überspitzung und gezielte Manipulation zu verschärfen und so die Gesellschaft zu spalten. Ob es um Impfungen geht, Waffenlieferungen oder das Gendern – die Taktik rechter Gruppen besteht oft darin, abzuwarten wie sich die Grünen positionieren und dann mit aggressiver Vehemenz das Gegenteil zu fordern. Auf diese Weise werden Menschen, die bei diesen Themen eine kritische Haltung haben, angesprochen und dann Stück für Stück radikalisiert. Auf diese Weise wird eine Spaltung in die Gesellschaft hineingetragen, die eigentlich gar nicht in dem Ausmaß vorhanden ist. (Dass die Spaltung nicht aus der Gesellschaft kommt, sondern von sogenannten 'Polarisierungsunternehmern' hineingetragen wird, zeigt der Soziologe Steffen Mau sehr schön in seinem Buch 'Triggerpunkte'. Interessierten empfehle ich dieses ausführliche Interview.)
Ängste Schüren:
Wer Angst hat neigt dazu, Entscheidungen nicht mehr rational abzuwägen und wird anfällig für vermeintlich einfache Lösungen. Und je überwältigender die Bedrohung, desto eher sind Menschen bereit, jegliche Verantwortung an einen starken Führer abzugeben, der die Sache dann erledigt. Deshalb gehört es zum Handwerkszeug jedes autoritären Herrschers, Bedrohungen heraufzubeschwören und die Menschen in einem Zustand der Angst zu halten – natürlich verbunden mit dem Versprechen, dass man selbst als Einziger den Schüssel zur Lösung in der Hand hält. (Deshalb wiederholt Trump bei jeder Gelegenheit die Worte 'I alone can fix it.') Auch die AfD setzt diese Technik seit langem ein. Gewöhnliche Probleme gibt es nicht – es droht immer gleich 'der Untergang des Abendlandes'. Im Kontext der Migration sollen Vokabeln wie 'Menschenmassen', 'unkontrolliert' oder 'überschwemmen' ein Gefühl der Überforderung und Ausweglosigkeit erzeugen. Das wirkt vor allem in die eigene Basis hinein, um sie zu konsolidieren und zu weiteren Radikalisierungsschritten zu bewegen. Wie gut das funktioniert, kann man den Berichten von AfD Aussteigern entnehmen. (Zum Beispiel in dieser sehr empfehlenswerten Doku)
Immunisierung gegen Fakten:
Dieses Phänomen lässt sich seit einigen Jahren weltweit beobachten und hätte eigentlich einen eigenen Artikel verdient. Manche sprechen vom 'postfaktischen Zeitalter', andere von einer 'Rückabwicklung der Aufklärung'. Im Kern wird die Überzeugung in Frage gestellt, dass wir alle in ein und der selben Wirklichkeit leben und über (wissenschaftliche) Methoden verfügen, um einigermaßen gesichertes Wissen über diese Wirklichkeit zu erlangen. In autoritären Systemen wird seit langem die Taktik angewandt, die Menschen mit so viel Widersprüchlichem zu bombadieren, dass diese sich in einen resignativen Relativismus (Wer kann schon sagen was richtig ist und was falsch?) zurückziehen. Doch seit einigen Jahren nimmt diese Tendenz auch in freiheitlichen Demokratien drastisch zu. Dinge, die faktisch falsch sind, werden einfach immer wieder behauptet – offensichtliche Tatsachen werden nur dann akzeptiert, wenn sie ins eigene Weltbild passen. Das alles verbindet sich mit der in rechten Kreisen seit jeher verbreiteten Ablehnung der (angeblichen) Eliten und damit der Autorität der Wissenschaft. Mit dem Ergebnis, dass Menschen der Auffassung sind, sie könnten Erkenntnisse von jahrzehntelanger Forschung durch zehn Minuten googeln widerlegen. Wer einmal diese Wissenschaftsskepsis internalisiert hat, ist für rationale Argumente kaum noch zugänglich und folgt vor allem seinen Emotionen und den einmal akzeptierten Autoritäten. Ins gleiche Kapitel gehört auch die Ablehnung und Diffamierung einer nach journalistischen Standards arbeitenden Presse.
Errichtung von sektenartigen Strukturen
Neuankömmlinge werden in der rechten Szene mit offenen Armen empfangen. Man gibt ihnen das Gefühl, endlich aufgewacht und unter Gleichgesinnten zu sein. Gleichzeitig erfolgt oft eine Loslösung vom bisherigen sozialen Umfeld, das für die Radikalisierung in der Regel wenig Verständnis zeigt. So sind Mitglieder bald nur noch in ihren eigenen Parallelstrukturen unterwegs, in denen sie sich gegenseitig bestätigen und sich als verschworene Gemeinschaft vor allem in Opposition zum Rest der Gesellschaft definieren. Diese Isolierung wird von den rechten Gruppen gezielt gefördert. Je weniger Kontaktpunkte es zur 'Außenwelt' gibt, desto weniger wird das rechte Weltbild in Frage gestellt. Und wer kein soziales Umfeld außerhalb der Gruppe mehr hat, wird es sich gut überlegen, jemals wieder 'auszusteigen'.
Innerhalb der rechten Szene geht es viel um angebliche Verschwörungen einer vermeintlichen Elite. Zum Wesenskern solcher Verschwörungserzählungen gehört immer eine Immunisierungsstrategie. Wenn etwas passiert, was nicht zur Erzählung passt, war es eben ein gezieltes Ablenkungsmanöver der geheimen Weltregierung oder Ähnliches. Es gibt kein Gegenargument, das man nicht auf diese Weise beiseite wischen könnte.
All dies sind Komponenten einer sektenartigen Struktur, die darauf Abzielt, ihre Anhänger von der Außenwelt zu isolieren. Wer einmal in diesen Treibsand hinein geraten ist kann nur unter allergrößten Anstrengungen wieder herauskommen. Wer das doch schafft wird übergangslos als Verräter gebrandmarkt und hart bekämpft – Aussteiger werden über Nacht zum Todfeind. (Ich empfehle hier noch einmal die sehr sehenswerte ARD Dokumentation.)
Was können wir tun?
Was können wir also tun? Gibt es Möglichkeiten, den genannten Strategien der Neuen Rechten wirkungsvoll zu begegnen? Wie immer ist die Antwort komplex und vielschichtig, aber ich möchte einige Maßnahmen vorschlagen, die bisher meines Erachtens nicht genügend Beachtung finden..
Aufklärung
Wer die Pläne und Strategien der Neuen Rechten kennt, wird ihnen nicht mehr so leicht auf den Leim gehen. Deshalb sollten wir unbedingt der Aufklärung darüber mehr Raum geben. Das zweite Kapitel dieses Artikels soll dazu ein Beitrag sein. Wenn die rhetorischen Tricks und argumentativen Finten der Neuen Rechten entschlüsselt sind, werden sie immer häufiger ins Leere laufen. Ideal wäre eine große gesellschaftliche Aufklärungskampagne, die bereits in der Schule ansetzt und Grundlagen in Argumentationstechniken, logischem Denken, Wissenschaftstheorie und Quellenkritik vermittelt. Das wäre freilich ein langfristiges Projekt, dessen Früchte wir erst in einigen Jahren ernten können. Was nicht heißt, dass wir es bleiben lassen sollten – im Gegenteil. Aber für die akute Bedrohung brauchen wir weitere Maßnahmen.
Den Kampf um die Worte annehmen
Euphemistische Wortneuschöpfungen aus der rechtsextremen Szene müssen identifiziert und als das benannt werden, was sie sind. Wenn jemand vom Ethnopluralismus fabuliert, können wir zunächst freundlich und respektvoll darauf hinweisen woher das Wort kommt und was es bedeutet. Wenn sie dennoch darauf beharrt, sollte man entschieden klar machen, dass man das Konzept ablehnt. Das Ziel ist, diese Begriffe möglichst schnell zu entlarven und genauso 'unsagbar' zu machen wie die Worte, die sie ersetzen sollen. Es gab viel Kritik an der Wahl des Wortes 'Remigration' zum Unwort des Jahres, aber tatsächlich ist das genau der richtige Schritt. Je mehr Menschen die Worte kennen und wissen, welche Scheußlichkeiten sich dahinter verbergen, desto schneller ist eine erneute gesellschaftliche Ächtung möglich.
Aber zusätzlich sollten wir im Kampf um die Worte endlich auch in die Offensive kommen. Von den Rechten gekaperte Begriffe wie 'Heimat', 'Volk', 'normal' oder 'gesunder Menschenverstand' müssen zurückgewonnen werden, indem man sie mit liberaldemokratischen Inhalten füllt. Ein Paradebeispiel für dieses Vorgehen ist die viral gegangene Rede des heutigen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir bei der Bundestagsdebatte zum Fall Deniz Yücel.
Hier gelingt es Özdemir, den Spieß umzudrehen: Er zeichnet das Bild eines liberalen und toleranten Deutschland, auf das man zu recht stolz sein kann. Und einer AfD, die dieses freie Deutschland in Wirklichkeit verachtet. Auf diese Weise können sogar traditionell rechts konnotierte Begriffe wie 'Patriotismus' aus der demokratischen Mitte heraus reklamiert werden. Ein wahrer Patriot in diesem Sinne ist stolz auf ein Land, das auf den Ruinen der schrecklichsten Diktatur der Menschheitsgeschichte eine der stabilsten Demokratien der Welt gebaut hat. Alle Begriffe, die das Potential für eine solche liberaldemokratische Lesart bieten, sollten wir der Deutungshoheit der Rechten entziehen.
Die demokratische Querfront
Eine der größten Errungenschaften der derzeitigen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ist die Breite der Bewegung. Von der CDU bis zur Linkspartei, von Antifa Gruppen bis zu den Gewerkschaften – hier kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und politischen Ansichten zusammen. Der einzige Gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen können ist die liberale Demokratie als Staatsform. Das ist genau die Art von demokratischer Querfront, die wir jetzt benötigen. Unter Demokraten können alle Meinungsverschieden kontrovers diskutiert werden und jeder darf für seine Ansichten eintreten. Aber wenn es um die Feinde der Demokratie an sich geht, sitzen wir alle im selben Boot. Deshalb ist jeder Versuch, einzelne Gruppen von den Demos auszuschließen, fatal und spielt den Rechten und ihren Spaltungsversuchen in die Hände.
Eine echte Brandmauer
Innerhalb des demokratischen Spektrums ist also eine größere Toleranz für unterschiedliche Meinungen geboten. Aber natürlich gibt es auch Grenzen. Und diese Grenzen müssen wir möglichst scharf definieren und dann alles, was sich außerhalb davon befindet, konsequent verurteilen und ausgrenzen. Das heißt wir müssen Minimalbedingungen formulieren, die jemand erfüllen muss, um Teil des demokratischen Diskurses zu sein. Die Anerkennung der universellen Menschenrechte, von Demokratie und Gewaltenteilung können zum Beispiel solche Bedingungen sein. Arbeitsmigration begrenzen zu wollen ist z.B. in diesem Sinne eine legitime Position, die man unter Demokraten diskutieren kann. Wer aber an der Grenze nach Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit entscheiden will, wer rein darf und wer nicht, verwirkt sein Recht, am Diskurs teilzunehmen. Derzeit gibt es einen großen Graubereich und damit Spielraum für Provokation und Relativierung. Die Rechten arbeiten darauf hin, diesen immer weiter in die Mitte der Gesellschaft auszudehnen. Stattdessen müssen wir den Graubereich zu einer möglichst scharfen Linie verengen und so eine echte Brandmauer definieren, die wir dann mit aller Entschiedenheit verteidigen. Diese Linie wird quer durch die AfD verlaufen, womit wir bereits beim nächsten Punkt wären.
Die Rechten spalten
Die Neue Rechte ist in Wirklichkeit ein Sammelbecken an unterschiedlichen Gruppierungen, die teilweise höchst unterschiedliche Positionen vertreten. Die einen wollen einen möglichst starken Staat, die anderen eine neoliberale Wirtschaftsordnung, aus der sich der Staat möglichst heraushält. Die einen sind glühende Antisemiten während andere Israel als Verbündeten im Kampf gegen den Islam sehen. Die einzige Klammer, die diese Gruppen notdürftig zusammenhält, ist ihre Fremdenfeindlichkeit. Aber indem wir sie immer wieder mit ihren inneren Widersprüchen konfrontieren, können wir die Bruchlinien offenlegen und die Bewegung fragmentieren.
Eine Sollbruchstelle ist dabei von besonderem Interesse: In der AfD und anderen rechten Gruppen gibt es Menschen, die sich klar außerhalb der oben definierten Brandmauer bewegen, aber auch solche, bei denen das zumindest nicht so klar ist. Diesen 'Moderaten' sollten wir ein Angebot machen. Die Botschaft muss sein: 'Wir sehen dich und nehmen dich mit deinen Ansichten und Ängsten ernst. Du bist jederzeit willkommen, dich einzubringen und an einer Lösung mitzuarbeiten. Einzige Bedingung: Du musst dich klar innerhalb der demokratischen Brandmauer bewegen und dich von denen lossagen, die dies nicht tun.' Im Fall der AfD wird das vermutlich nicht mehr dazu führen, dass die radikalen Kräfte ausgeschlossen werden, denn diese haben das Ruder längst übernommen. Aber es kann den Austritt der demokratischen 'Feigenblätter' bewirken – was der Partei Wählerstimmen kosten dürfte und nicht zuletzt auch die Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens erhöht.
Die Demokratie Stärken
Der letzte Punkt ist eigentlich sehr naheliegend und wird dennoch oft übersehen. In den letzten Jahrzehnten war unsere Demokratie so erfolgreich und stabil, dass sie uns mit der Zeit ganz selbstverständlich vorkam. Für die daraus resultierende Lethargie könnten die Correctiv Enthüllungen ein heilsamer Schock zur rechten Zeit sein. Wir müssen uns darauf besinnen, dass jede Demokratie nur so stark ist wie die Menschen, die sie mit Leben füllen. Die aktuellen Demonstrationen sind ein guter erster Schritt. Aber um eine wirklich nachhaltige Wirkung zu entfachen muss es gelingen, diese Energie in ein dauerhaftes Engagement für die Demokratie umzuwandeln. Menschen (und vor allem junge Menschen) müssen wieder in Parteien eintreten, Kommunalpolitik gestalten, sich in Vereinen engagieren, in der Flüchtlingshilfe, in Diskussionsforen, auf der Straße und in den sozialen Medien Flagge zeigen und eine demokratische Debattenkultur hochhalten. Eine lebendige und vitale demokratische Zivilgesellschaft wird ein hohes Maß an Resilienz gegen Angriffe von Rechts haben und gibt uns zusätzlich ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und damit einen positiven Blick auf eine gestaltbare Zukunft.